Open User Lab Team

Veröffentlicht am 08.08.23

Die Kunst des Kennenlernens – Wie virtuelles Onboarding trotz Distanz Nähe schafft

Lea Maria Wende, studentische wissenschaftliche Mitarbeiterin im Open User Lab, hat in ihrer Masterarbeit Personaler*innen und Mitarbeitende befragt, wie ihre Unternehmen während der COVID-19-Pandemie virtuelle Onboardings für neue Mitarbeitenden durchgeführt haben.

Eine Person telefoniert per Video mit einer anderen Person.

Da hat man als Unternehmen gerade viele Ressourcen ins Recruiting von neuen qualifizierten Mitarbeitenden gesteckt und bereits nach kurzer Zeit sind sie wieder weg. Warum? Eine Befragung von 2018 zeigt, dass weniger als die Hälfte der neuen Mitarbeitenden sich im neuen Job wertgeschätzt und willkommen fühlen; jeder Zehnte kündigt in den ersten 100 Tagen und einige mehr denken über einen solchen Schritt nach. Die 5. Onboarding-Studie 2021 der Haufe Group erhob, dass bereits am ersten Tag 15 % der neuen Mitarbeitenden über eine Kündigung nachdenken und über ein Drittel das Unternehmen verlässt, bevor sie ihren neuen Arbeitsplatz erst richtig kennen gelernt haben. Personelle Verluste, die nicht sein müssen. Zumal als Gründe für die Kündigungen vermehrt schlechte Einarbeitung, falsche Versprechungen, das Verhalten des Vorgesetzten oder eine unstimmige Chemie genannt werden (Heese, 2018).

In der heutigen digitalen und immer dezentraler werdenden (Arbeits-)Welt ist es wichtiger denn je, dass Unternehmen über ein effektives Onboarding-Programm verfügen, um neue Mitarbeitende erfolgreich in das Unternehmen zu integrieren. Das virtuelle Onboarding bietet eine moderne und zeitgemäße Möglichkeit, um neuen Mitarbeitende auch in Zeiten von Homeoffice und Remote-Arbeit ein nachhaltiges Willkommen zu bieten.

Onboarding* Mehr als nur Einarbeitung

„Onboarding“ ist ein Anglizismus, der sich mit „An-Board-nehmen“ übersetzen lässt. Es geht beim Onboarding nicht nur um die Aufnahme neuer Mitarbeitenden an ihre neuen Arbeitsplätze, sondern auch darum, neue Mitarbeitende in ein neues soziales System zu integrieren. In der Literatur findet sich da häufig die Aufteilung in die fachliche, soziale sowie werte und kulturell orientierte Integration.

Ziel der fachlichen Integration ist, dass neue Mitarbeitende ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne der Unternehmensziele konkret umsetzen können. Erfolgreich sozial integriert sind neue Mitarbeitende, wenn sich bei ihnen das „Wir-Gefühl“ entwickelt hat und sie als Teil der Gemeinschaft, des neuen sozialen Systems akzeptiert sind. Die werteorientierte Integration vermittelt hauptsächlich über das gelebte Miteinander die sog. „corporate identity“ des Unternehmens, sein Selbstverständnis zu Zielen, Werten und Führungsgrundsätzen.

Ziel für das Unternehmen sollte eine ausreichende Berücksichtigung der soziale und werte- bzw. kulturell orientierte Integration in das Unternehmen sein, da durch sie ein hoher „cultural fit“, also eine hohe Identifikation mit dem direkten Arbeitsumfeld und dem Unternehmen, erzielt wird. Und je besser der „cultural fit“, desto höher die Motivation und Einsatzbereitschaft der (neuen) Mitarbeitenden.

Im Online-Kontext gestaltet sich die soziale und werte- bzw. kulturell orientierte Integration wesentlich herausfordernder als im physischen Onboarding. Die befragten Personaler*innen und neuen Mitarbeitenden berichteten von negativen Erfahrungen bezüglich des sozialen Miteinanders: Kolleg*innen sehe man selten oder nie in Präsenz. Es wird sich unpersönlicher kennengelernt. Der interkollegiale Austausch, vorwiegend auf informeller Ebene, fehle, da die spontanen Zusammenkünfte im Büro, auf dem Flur oder in der Büroküche seltener vorkämen. Die Etablierung von privaten, tiefen gehenden Verbindungen wird schwieriger, was auch den Anschluss ans eigene Team erschwere.

Dabei wird vor allem die Integration in die Unternehmenskultur im Wesentlichen im gelebten Miteinander in Präsenz vermittelt. Unternehmenswerte lassen sich zwar via Präsentationen und schriftlichen Texten informativ näherbringen, jedoch lernen neue Mitarbeitenden in den Gesprächen zwischendurch und in der Art wie die Dinge ablaufen, wie die Kultur des Arbeitgebers wirklich ist und gelebt wird.

Worauf sollen nun Unternehmen und Personaler*innen Wert legen, wenn sie neue Mitarbeitende virtuell onboarden? Was unterstützt neue Mitarbeitende beim virtuellen Ankommen?

Intensive Kommunikation und Begleitung neuer Mitarbeitenden bereits vor dem ersten Arbeitstag im sog. Pre-Boarding

Die befragten neuen Mitarbeitenden fühlten sich auf den ersten Arbeitstag optimal vorbereitet, wenn im Vorfeld ein intensiver Austausch mit der Personalabteilung oder/und der Führungskraft stattfand. Eine pünktliche und unkomplizierte Bereitstellung des IT-Equipments sowie benötigter Zugänge wurden ebenso als unterstützend bewertet, wie die Bereitstellung relevanter Informationen zu Terminen (z.B. Einladungen zu virtuellen Events) in den ersten Wochen. Auch kleine Willkommensgeschenke mit persönlicher Ansprache können das Gefühl erhöhen, im neuen Unternehmen willkommen zu sein.

Strukturierter, systematischer, sowie auf die Bedürfnisse und Kompetenzen neuer Mitarbeitender zugeschnittener Onboardingplan

Homeoffice oder das in Post-Corona-Zeiten immer relevanter werdende hybride Arbeiten (übrigens: Tipps für erfolgreiches Hybriden Arbeiten gibt es hier) geht zum einen mit der von den Befragten als positiv wahrgenommenen zeitlichen und örtlichen Flexibilität einher. Zum anderen zeigten die Befragungen, dass ein fest terminierter und strukturierter Onboardingplan mit fachlichen Lernzielen und Kennenlernterminen in den ersten Wochen als große Unterstützung wahrgenommen wurde. Förderlich für eine erfolgreiche Integration ist es, bei der Erstellung auf eine gewisse Individualität hinsichtlich der noch zu vermittelnden Kompetenzen, des Betreuungsbedarfes sowie des persönlichen Lernverhaltens zu setzen. So sollte Eigenverantwortlichkeit und störungsfreie Arbeitsphasen bereits von Anfang an gefördert werden, da in Befragungen festgestellt wurde, dass eigenständige Auseinandersetzung mit neuen Aufgaben zur fachlichen Einarbeitung und zur Klärung der eigenen Zuständigkeiten beiträgt. Hilfreich bei der Erstellung von Plänen sind Modelle aus der Forschung, z.B. das IWG-Modell von Klein und Heuer oder die Implikationen von Moser et. al. (2018).

Geplanter Austausch auf fachlicher und persönlicher Ebene

Die Wichtigkeit der intensiven und regelmäßigen Kommunikation zeigt sich im gesamten (virtuellen) Onboardingprozess. Eine hohe Anzahl an virtuellen Treffen verstärkt bei neuen Mitarbeitenden insbesondere in den ersten Wochen das Gefühl der Einbindung in das Team und in das Unternehmen. In den Interviews wurde deutlich, dass zu Beginn häufig Hemmungen und Unsicherheiten auf Seiten der neuen Mitarbeitenden existierten, proaktiv auf Vorgesetzte und das Kollegium zuzugehen. Die Befragten probierten so häufig lange an einer Lösung herum, anstatt die Fragen direkt über die vorhandenen Kommunikationskanäle zu stellen. Eine intensive Begleitung in den ersten Wochen, sowohl für den fachlichen Austausch als auch zum persönlichen Kennenlernen trägt dazu bei, diese Hemmschwellen zu reduzieren. Ein Format für die soziale Integration können in den Onboardingprozess eingegliederte, informelle Treffen mit einzelnen Kolleg*innen sein – manchmal „Coffee Dates“ genannt. Speziell in den ersten Tagen und Wochen bietet sich solche Treffen an, damit neue Mitarbeitende ihre direkten Kolleg*innen ungezwungen kennenlernen. Sie lassen sich über gängige Videocall-Software niedrigschwellig realisieren.

Begleitung durch festen Ansprechpartner (Buddy, Mentor, Pate)

Neben den informellen „Coffee Dates“ betonten die befragten Mitarbeitenden, dass es als deutlich hilfreich empfunden wurde, in der ersten Zeit intensiv von einer primären Ansprechperson begleitet zu werden. Die Personen, die auf die neuen Mitarbeitenden zugehen und in der ersten Zeit als feste Ansprechperson zu Seite stehen, werden je nach Arbeitgeber „Buddys“, „Mentoren“, „Paten“ genannt. Dieses Konzept gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Popularität. Die Umsetzung und Ausgestaltung von Buddy-Programmen werden wesentlich durch die gelebte Unternehmenskultur beeinflusst. Je offener und harmonischer eine Unternehmenskultur ist, desto herzlicher und fröhlicher nehmen neuen Mitarbeitende diese Maßnahmen und das Onboarding in Gänze wahr. Ein weiterer Einflussfaktor ist die persönliche Passung. Für die soziale sowie werte-kulturelle Integration zeigten die Befragungen, dass gemeinsame Interessen, ähnliche Lebensumstände und gleiche Hierarchieebene Faktoren waren, die persönliche Sympathie zwischen Buddy und neuem Mitarbeitenden leichter ermöglichten und so zu einem besseren Onboardingerlebnis beitrugen. Eine fachliche Ausgestaltung des Buddys, welches vor allem im reinen Remote-Kontext als strukturgebend und hilfreich bewertet worden ist, sind tägliche kurze Check-Ins bzw. Check-Outs mit der direkten Führungskraft. Die Check-Ins zu Beginn und Check-Outs zum Ende des Arbeitstags böten Raum, um für den Arbeitstag relevante Themen, Aufgaben sowie Fragen und Feedback zu besprechen. Im weiteren Onboarding wurde die Häufigkeit individuell auf mehrmals die Woche hin zu bedarfsweisen Terminen reduziert.

Bereitschaft des Unternehmens Zeit für die Integration zu investieren

Ein Onboarding im digitalen Raum und Remote fordert mehr personelle und vor allem zeitliche Ressourcen als ein Onboarding in Präsenz. Es bedarf einer intensiveren Einarbeitung und Begleitung, da die Akteure nicht mehr in Präsenz zusammensitzen. Zusätzlich zeigten die Befragungen, dass die mit dem virtuellen Onboarding verbundenen genannten Erwartungshaltung dahingehend war, dass die neuen Mitarbeitenden noch mehr mitgenommen werden müssen. Die befragten Personen betonten, dass eine intensivere Begleitung in den ersten Wochen sowohl für den fachlichen Austausch als auch zum persönlichen Kennenlernen eine Atmosphäre ermöglichen, in der Fragen und Probleme schneller angesprochen und besprochen werden konnten, was u.a. dazu führte, dass sie schneller eigenverantwortlich arbeiteten konnten. Hier können Unternehmen und Führungskräfte ihre Mitarbeitenden unterstützen, indem sie sich dem Mehrwert von erfolgreich durchgeführtem Onboarding bewusst sind und folglich den Mitarbeitenden die Ressourcen zur Verfügung stellen. Hinsichtlich der fachlichen Einarbeitung sollte erwägt werden, ob Einarbeitungsformate zu fachlichen Themen und Bereichen nicht von den zuständigen bzw. aktuell daran arbeitenden Expert*innen organisiert und durchgeführt werden können.

Onboarding ist mehr als eine Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden. Es ist auch ein Willkommenheißen von neuen Persönlichkeiten in ein bestehendes, soziales System sowie eine Möglichkeit, einen ersten, hervorragenden Eindruck zu machen, damit die neuen Mitarbeitenden zu langfristigen Teammitgliedern werden. Remote Arbeiten ist für ein erfolgreiches, ganzheitliches Onboarding herausfordernder. Die in diesem Text vorgestellten Leitlinien sind nur einige von vielen Möglichkeiten, neuen Mitarbeitenden einen schönen Start im neuen Unternehmen zu ermöglichen. Schon kleinste Onboardingmaßnahmen tragen dazu bei, dass aus den 15 % der neuen Mitarbeitenden, die bereits am ersten Tag an Kündigung denken, weniger werden.

Quellen & weiterführende Literatur: